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Amerikanische Sinophobie

NEW HAVEN – Die aktuelle Welle chinafeindlicher Einstellungen in den USA hat sich seit Jahren aufgebaut. Das begann Anfang der 2000er Jahre, als US-Politiker erstmals nationale Sicherheitsbedenken in Bezug auf Huawei geltend machten. Chinas nationaler Technologie-Champion – Marktführer bei der Entwicklung neuer 5G-Telekommunikationsausrüstung – wurde beschuldigt, in seine Produkte digitale Hintertüren einzubauen, die chinesische Spionage und Cyber-Angriffe ermöglichen könnten. Die von den USA ausgehenden Sanktionen der Jahre 2018-2019 stoppten Huawei komplett.

Doch Huawei war erst der Anfang. Inzwischen herrscht in den USA absolute Sinophobie – ein starkes Wort, das ich nicht leichtfertig verwende. Das Oxford English Dictionary definiert „Phobie“ als „extreme oder irrationale, durch einen bestimmten Gegenstand oder Umstand geweckte Furcht oder Angst“.

Tatsächlich werden derzeit überall von China ausgehende Bedrohungen wahrgenommen. Die US-Regierung hat Exportkontrollen verhängt, um China vom Zugang zu fortschrittlichen Halbleitern abzuschneiden – Teil einer konzertierten Anstrengung, die chinesischen Ambitionen im Bereich der künstlichen Intelligenz auszubremsen. Das US-Justizministerium hat gerade Anklage gegen eine staatlich unterstützte chinesische Hacker-Gruppe erhoben, die angeblich wichtige US-amerikanische Infrastruktur ins Visier genommen hat. Auch um die angeblich von chinesischen Elektrofahrzeugen, Bau- und Ladekränen und jetzt von TikTok ausgehenden Risiken wurde großes Trara gemacht.

Auch sind die Befürchtungen nicht auf die Technologie beschränkt. Ich selbst habe schon vor Jahren über das Handelsdefizitproblem der USA geschrieben, wo die US-Regierung ein multilaterales Problem – ein Handelsdefizit gegenüber mehr als 100 Ländern – fälschlich als bilaterales Problem diagnostizierte und China mit Strafzöllen belegte. Andere haben gewarnt, dass Washingtons überzogene Behauptungen einer von China ausgehenden militärischen Bedrohung angesichts wachsender Spannungen im Südchinesischen Meer und in der Straße von Taiwan zeitweise an Hysterie grenzten.

Natürlich ist all dies nur die Hälfte der Geschichte. China macht sich gleichermaßen seiner eigenen Version von „Ameriphobie“ schuldig: Es verteufelt die USA wegen ihrer Behauptungen chinesischer Wirtschaftsspionage, unfairer Handelspraktiken und Menschenrechtsverstöße. Beide Phobien stehen mit der Vielzahl falsche Narrative in Beziehung, die ich in meinem neuen Buch Accidental Conflict thematisiere. Ungeachtet dieser wechselseitigen Schuldzuweisungen geht es mir hier jedoch um etwas Anderes: Die Sorge ist wohlbegründet, dass in den USA eine zunehmend virulente Variante dieser Phobie außer Kontrolle gerät.

Seit der Kommunistenhetze der frühen 1950er Jahre haben die USA keine ausländische Macht mehr derart verteufelt. Damals leitete ein zweigleisiger, von US-Senator Joseph McCarthy aus Wisconsin und dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe des Repräsentantenhauses (HUAC) angeführter Angriff im Kongress, der im Gewand des Schutzes der Amerikaner vor sowjetischer Spionage und Beeinflussung daherkam, eine Hetzjagd auf vorgebliche kommunistische Sympathisanten ein.

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Heute führt ein anderer Politiker aus Wisconsin – der Abgeordnete Mike Gallagher – als Vorsitzender des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses für die Kommunistische Partei Chinas den Angriff an und erhebt reihenweise unbelegte Vorwürfe gegenüber China. Die Parallelen zu den dunklen Tagen des HUAC sind gespenstisch. Auch wenn Gallagher im April aus dem Kongress ausscheidet: Sein Erbe wird weiterleben – nicht nur in Gestalt des von ihm mit eingebrachten Gesetzentwurfes, der zu einem direkten Verbot von TikTok führen könnte, sondern auch in den von ihm angeführten Anstrengungen im Kongress, die einen langen Schatten auf alle werfen, die irgendeine Form des Dialogs mit China praktisch egal welcher Art unterstützen.

In der Litanei der US-Anschuldigungen manifestieren sich unbelegte Ängste unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit. Dabei gibt es in keinem dieser Fälle eindeutige Beweise. Vielmehr dreht sich alles um Indizien für eine zunehmende Aggressivität Chinas. Was hier abläuft, ist eine unverkennbare Politisierung deduktiver Logik durch beide Parteien.

So hat uns US-Handelsministerin Gina Raimondo, eine führende Demokratin, aufgefordert, uns „vorzustellen“, was passieren könnte, falls chinesische Elektrofahrzeuge auf Amerikas Straßen als Waffen eingesetzt würden. Der von Donald Trump ernannte FBI-Direktor Christopher Wray – Mitglied der konservativen Federalist Societywarnt, dass chinesische Malware wichtige US-Infrastruktur lahmlegen könnte, „falls oder wenn China sich entschließt, dass die Zeit zum Zuschlagen gekommen ist“ (meine Hervorhebung). Und ein ehemaliger US-Offizier aus dem Bereich Gegenspionage hat die in Kränen chinesischer Produktion enthaltenen Sensoren mit einem Trojanischen Pferd verglichen. Da ist viel „was wäre, wenn“ im Spiel, und viele mythische Parallelen, aber Beweise für böse Absichten oder verifizierbare Handlungen fehlen.

Was ist los mit China, dass es diese virulente US-Reaktion hervorgerufen hat? In Accidental Conflict habe ich darauf hingewiesen, dass die USA konkurrierenden Ideologien und alternativen Regierungssystemen seit langem intolerant gegenüberstehen. Die Behauptung des „amerikanischen Exzeptionalismus“ zwingt uns anscheinend, anderen unsere Ansichten und Werte aufzuzwingen. Das war im Kalten Krieg so und ist es heute wieder.

Ich habe zudem argumentiert, dass die überzogenen Ängste vor China bequemerweise viele der selbstverschuldeten Probleme der USA überdecken. Bilaterale Handelsdefizite mögen durchaus unfaire Handelspraktiken einzelner Länder widerspiegeln – heute von China, vor 35 Jahren von Japan –, aber breite multilaterale Handelsdefizite rühren eher aus den chronischen Haushaltsdefiziten der USA her, die zu einem Mangel an inländischen Ersparnissen führen. In ähnlicher Weise ist die technologische Bedrohung nicht bloß ein Auswuchs des vorgeblichen chinesischen Diebstahls amerikanischen geistigen Eigentums; sie repräsentiert, wie ich in Accidental Conflict betont habe, zugleich Amerikas unzureichende Investitionen in Forschung und Entwicklung und seine Defizite im Bereich der Hochschulbildung in den MINT-Fächern. Statt einen langen, prüfenden Blick in den Spiegel zu tun, ist es für US-Politiker politisch zweckdienlicher, China die Schuld zu geben.

Angesichts dieser sich selbst verstärkenden Sinophobie erlangen Ängste die Aura von Fakten, und die Risiken eines unbeabsichtigten Konflikts mit China wachsen. Indem es auf Grundlage dieser Ängste handelt, läuft Amerika Gefahr, genau jenes Ergebnis auszulösen, vor dem es abschrecken möchte. Die Befürchtungen über einen chinesischen Angriff auf Taiwan sind ein Paradebeispiel dafür.

Die USA können und müssen Besseres leisten. Statt die sinophoben Exzesse als berechtigte Reaktionen auf die von China ausgehende Bedrohung zu entschuldigen, muss die US-Politik den einfachen Weg vermeiden und mehr wie der „Erwachsene im Zimmer“ denken. Globale Führung erfordert nichts weniger.

In seiner Antrittsrede als US-Präsident 1933 betonte Franklin Roosevelt das letztliche Risiko dieser gefährlichen Pathologie mit dem denkwürdigen Satz: „Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.“ Angesichts der heutigen wahnhaften Sinophobie täten wir gut daran, uns dieser Botschaft zu erinnern.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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